Das Geschichtsmagazin zum Berliner Nahverkehr - Berliner Verkehrsseiten
U-Bahn Berlin

Hochbahnstation Gleisdreieck

1900 - 1912  1912 - 1926  1926 - 1945  1945 - 1972  1972 - 1993  1993 - 2010

1902 Das Gleisdreieck: Eine Abzweigstelle

Das Gleisdreieck stellte 1902 bei Inbetriebnahme den Abzweig- und Knotenpunkt des neuen Hochbahnnetzes dar. Am Gleisdreieck trafen die drei Hochbahnstrecken vom Knie, Potsdamer Platz und der Warschauer Brücke zusammen. Die Gleise wurden in verschiedenen Ebenen geführt, um ein Kreuzen der Fahrten mit Zügen der Gegenrichtung zu vermeiden.

Diese Abzweigstelle aus Stein- und Stahlbrücken machte sie so imposant für den Betrachter und liess Verkehrsexperten staunen. Fahrgäste betrachteten das Gleiswirr aus dem fahrenden Zug und entdeckten zwischen den Pfeilern weitere Fahrmöglichkeiten. Im Gleisdreieck drückten Kinder sich ihre Nasen an den Scheiben platt.

Fahrt von Bülowstraße in das Gleisdreieck hinein, links die Bahnanlagen der Eisenbahn. Rot: Stellwerk Gleisdreieck, gelb: Kühlhaus in der Luckenwalder Straße, blau : Strecke v/n Möckernbrücke

Ein- oder Aussteigen konnte in Gleisdreieck nur das Betriebspersonal. Die Fahrgäste mussten bereits eine Station zuvor den Zug in die richtige Richtung abwarten, an jedem Bahnsteig Richtung Gleisdreieck fuhren die Züge im Wechsel zu zwei verschiedenen Zielen.

Der Name Gleisdreieck war nur den Hochbahnern bekannt, nur das dazugehörige Stellwerk und die Wagenhalle im innern des Dreiecks trugen intern den Namen der Betriebsstelle Gleisdreieck.

1902_G_Fahrstrassenubersicht

Die Übersicht des damaligen Stellwerkes Gleisdreieck zeigt die Hauptsignale (Buchstaben) und Weichen (Ziffern). Die Wagenhalle im Innern des Dreiecks ist hier nicht mit den Gleisen dargestellt.

1/1902: Probefahrt der Berliner Hochbahn am Gleisdreieck · Alle Bilder des Webseitenprojektes "Berliner Verkehrsseiten" sind rechtlich nur zur Verwendung innerhalb des Webseitenprojektes Berliner Verkehrsseiten freigegeben. Einer Verwendung über das Webprojekt hinaus kann aus rechtlichen Gründen leider nicht zugestimmt werden!

Probefahrt im Januar 1902 am Gleisdreieck (Richtung Möckernbrücke)

Gleisdreieck_1908

Gleisdreieck 1908: Neben der Wagenhalle das Stellwerk mit guter Aussicht über die Abzweigstelle. Der Fahrdienstleiter hatte hier einen guten Überblick, welcher Zug sich zuerst auf das Gleisdreieck zubewegt und zuerst einen Fahrtbegriff am Signal aus dem Abzweig heraus erhält. Die Wagenhalle bot Platz auf einer Ebene, optional war der Aufbau einer weiteren Ebene vorgesehen, aber nie realisiert worden.

Aufnahme aus dem Jahr 1905: Bild oben zeigt den Blick auf das Gleisdreieck, das Bild unten ein Ausschnitt von der Wagenhalle. Auf dem mittleren Gleis steht eine Profillehre.

In der ersten Ausbauphase sind nur die unteren Gleise am Gleisnetz angeschlossen, und werden aus und in Richtung Bülowstrasse bedient. Die aufzustockende obere Etage der Wagenhalle wäre für eine mögliche Erweiterung der Kapazitäten bedienbar von und nach Potsdamer Platz gewesen.

Blick aus dem Stellwerk Gleisdreieck Richtung Möckernbrücke (im Hintergrund das Kühlhaus in der Luckenwalder Straße), der Zug fährt von Signal G Richtung Potsdamer Platz, hat die Weiche 5 bereits verlassen.

Blick von der Hochbahn aus Richtung Süden auf das Gleisdreieck

Betrieblich wurde das Gleisdreieck immer mehr zum Engpass. Der zunehmende Fahrgastverkehr erforderte schnell mehr Zugfahrten, wodurch bedingt durch die komplizierte Einfädelung immer häufiger Züge am Gleisdreieck auf andere Züge warteten. Die gerade neu und kostenaufwendig gebaute Verzweigungsanlage wurde schon 1906 im Zusammenhang mit den Streckenerweiterungen nach Westen, und mit den zu erwartenden weiteren Verkehrsströmen nach Eröffnung der Spittelmarktlinie dem prognostizierten Zugaufkommen nicht mehr gerecht.

Das Stellwerk Gleisdreieck steht auf dem Gleis Bülowstraße - Potsdamer Platz, daneben die Wagenhalle. Vorn das elektrisch betriebene Hochbahn-Formsignal “F”. Leider gibt es heute kein erhaltenes Hochbahn-Formsignal mehr in den Berliner Sammlungen. Die hier sichtbaren Viaduktbögen sind größtenteils noch heute versteckt vorhanden.

Jede Zugfahrt musste vom Fahrdienstleiter Gleisdreieck manuell eingelegt werden. Die Züge wurden noch manuell geblockt (Siemens 4-Felderblock-System), bei der dichten Zugfolge eine unglaubliche Dauerbelastung. Bei Stellwerksstörungen war kaum mehr der Betrieb nach Fahrplan aufrecht zu erhalten. Entgegen vielen anderslautenden Quellen wurde nun schon der Umbau des Gleisdreiecks diskutiert, auch im Vorgriff auf die notwendige Entlastungsstrecke nach Westen. Der Umbau des Gleisdreiecks war bereits 1907 beschlossen worden.

Am 26. September 1908 fuhren zwei Züge auf die Weiche 2 zu. Der eine Zug kam vom Potsdamer Platz und der andere von der Bülowstrasse und beide fuhren Richtung Möckernbrücke. Einer der Zugfahrer ignorierte das für ihn gültige Haltsignal, weil er das auf Fahrt stehende Signal des anderen Zuges für sich gültig hielt, sodass beide Züge sich auf der Weiche in die Flanke fuhren. Der erste Triebwagen des aus Richtung Bülowstrasse kommenden Zuges wurde durch den Zug aus Potsdamer Platz vom Viadukt gedrückt und stürzte rund 10 Meter in die Tiefe.

Darstellung der Flankenfahrt. Der Zug ab Leipziger Platz fuhr um 13:42 Uhr dort ab und näherte sich der Abzweigstelle Gleisdreieck. Nach Vorbeifahrt an der Wagenhalle sah der Zugführer ein auf Fahrt stehenden Signalflügel hinter der Gleisunterfahrung des Streckengleises Möckernbrücke - Bülowstrasse. Dabei handelte es sich jedoch nicht um das für ihn gültige Abzweigsignal B welches Haltlage zeigte, sondern das Abzweigsignal C mit der Gültigkeit für den (vermutlich verspäteten) um 13:39 Uhr (Sollzeit) ab Bülowstrasse abgefahrenen Zug Richtung Möckernbrücke. Beide Züge steuerten also mit 40 Stundenkilometern auf die beide Gleise zusammenführende Weiche 2 zu, bedingt des Viaduktes für die Strecke Möckernbrücke - Bülowstrasse sahen die beiden Zugführer sich nicht. Ein Zugsicherungssystem fehlte zu dieser Zeit noch bei der Berliner Hochbahn, sodass es keine Zwangsbremsung für den Zug (rot)  gab. Beide Zugfahrer sahen sich erst eine Sekunde vor dem seitlichen Zusammenstoß (X ). Der Zug vom Leipziger Platz drücke den Zug von Bülowstrasse durch die Fahrt in die Flanke seitlich vom Viadukt, der erste Triebwagen fiel rund 10 Meter tief herab und stürzte mit dem Fahrzeugdach zuerst auf das Anschlußgleis des Kühlhauses in der Luckenwalder Strasse.

Unfallbild Gleisdreieck: Die bedrohliche Situation wird erkennbar. Weitere Fahrzeugteile drohen auf die Hilfskräfte zu fallen. Mit Seilen werden die Wagen und Drehgestelle zunächst zur Sicherung fixiert.

Dieser Unfall kostete 18 Menschen das Leben. Verletzt wurden 21 Personen. Der schuldige Zugführer wurde zu einer Haftstrafe verurteilt. Die Aufsichtsbehörde forderte nun umgehend die bereits vorgelegten Umbaupläne des Gleisdreiecks schnell umzusetzen. Umgehend begann die Hochbahngesellschaft mit der Bauplanung und Auftragsvergabe für den Umbau. Die endlose Diskussion der Verkehrs- und Stadtplaner, wie die Strecken sich zukünftig verzweigen mochten gelangte an ihren Höhepunkt, letztendlich wurde jedoch die erste ausgearbeitete Variante umgesetzt. Die Umbauarbeiten fanden unter laufendem Betrieb statt, so erfolgten ab Mai 1912 die Arbeiten und wurden im August 1913 abgeschlossen, nutzbar war der Umsteigebahnhof bereits zum 3.11 1912. Ziel der Umbauten war es, die hundertfachen Zugeinreihungen in die drei Strecken aufzugeben, um sowohl Fahrplanstabilität und Leistungsfähigkeit zu verbessern, als auch die Betriebssicherheit des wichtigen Knotenpunktes sicherzustellen. Gleisdreieck wurde von der Abzweigstelle zum Umsteigebahnhof. Die Züge sollten sich nun in einem Kreuzungsbahnhof auf zwei getrennten Ebenen kreuzen. Nun sind allerdings Zusammenstöße auf der Bahnsteigtreppe zwischen den umsteigenden Fahrgästen möglich  ;-)  Der Name der Betriebsstelle wurde beibehalten, obwohl nicht einmal 10 Jahre ein Dreieck gewesen.

Folgen hatte der Unfall auch für die Sicherungstechnik. Die Aufsichtsbehörde verlangte mit Termindruck eine Fahrsperren-Technik, die dann auch Anwendung fand. -> Lesen Sie hier dazu weiter.

Berliner Hochbahn - Zug vom Hochbahnbogen in der Bülowstrasse am Gleisdreieck  zum Potsdamer Platz

Hochbahnbrücke über den Landwehrkanal Richtung Möckernbrücke: Kreuzung von Hochbahn, Eisenbahn, Schiffsverkehr und dem Straßenverkehr. 30 Jahre später unterquert an dieser Stelle noch die S-Bahn im N/S-Tunnel diesen Kreuzungspunkt

Gebäudedurchfahrt Trebbiner Straße

Hausdurchfahrt der Hochbahn in der Bülowstraße: Die Hochbahn fährt erschütterungsfrei durch das Haus Nummer 50

Verwendete Quellen für diesen Artikel und weiterführende Empfehlungen: (Bezugsmöglichkeiten siehe Rubrik Bücher)

  • Zeitschrift des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereins, 1908 / Nummer 51
  • Johannes Bousset, die Berliner U-Bahn, 1935
  • Berlins U-Bahnhöfe - Die ersten hundert Jahre, Jürgen Meyer-Kronthaler
  • Eröffnungsbroschüre der elektrischen Hoch- und Untergrundbahn in Berlin, Regierungsrath a.D. Kemmann, 1902
  • Berliner Verkehrsblätter, Heft 9/1983 Seiten 160 -165 Das Hochbahnunglück auf dem Gleisdreieck€ von Jürgen Köhn
  • U1 Geschichten aus dem Untergrund, Denkmalpflegeverein Nahverkehr Berlin (DVN), erschienen 1995, Dieter Kaddoura , Michael Hasse, Mathias Hiller, Manfred Keil und Ivo Köhler
  • Einzigartiger Bildband mit Aufnahmen aus dem Siemens Firmenarchiv vom Bau der Berliner Hoch- und  Untergrundbahn sowie dem Gleisdreieck, Großstadt-Durchbruch - Pioniere der Berliner U-Bahn, Susanne Hattig und Reiner Schipporeit, Jaron-Verlag 2002
  • Diverse Bild-, Plan- und Kartenmateriale aus dem Redaktionsarchiv der Berliner Verkehrsseiten
  • Hinweise und Ergänzungen aus dem Autorenkollektiv der Berliner Verkehrsseiten: Norbert Heintze, Axel Mauruszat, Wolfgang Heuser,
  • Hinweise aus der Arbeitsgemeinschaft U-Bahn

 Text und Zusammenstellung: Markus Jurziczek von Lisone,  3/2007, überarbeitet 4/2010

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